Die Geschichten aus der Sicht des Opfers - oder aus der Sicht der Schöpferin?
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, habe ich schon vieles erlebt. Doch meist denke ich an den Mangel, der dadurch entstanden ist. Ich sehe die Dinge, die ich nicht hatte, die Dinge, die schmerzhaft waren – statt an die vielen Geschenke zu denken, die mir dadurch zuteil wurden.
Wenn ich aus der Sicht der Geschenke auf mein Leben blicke, war es voller Fülle, voller Stärke und Kraft. Ich wäre heute nicht da, wo ich jetzt bin. Ich wäre nie so tief in manche Themen eingetaucht. Ich hätte nie so viele Seminare und Weiterbildungen besucht, wenn alles nur einfach gewesen wäre.
Ich hätte mich nie in den Himmel bewegt und die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits verschwimmen lassen, wenn mich das Leben nicht dorthin gestoßen hätte.
Die tiefen Geschenke unserer Eltern
Welche tiefen Geschenke uns unsere Eltern mitgeben, erkannte ich erst, als mein Vater in mein Leben trat, ich Frieden schloss und mich als Teil von ihm annahm. Heute bin ich zutiefst dankbar, ihn sechs Jahre in meinem Leben gehabt zu haben. Nicht mit der Zeit davor oder danach zu hadern, in der ich ohne ihn leben musste, sondern meinen Fokus zu verändern – auf das, was da war.
Muss ich ihn heute noch um mich haben? Nein. Und doch wäre es schön, wenn er noch da wäre.
Wir glauben oft, wir wären nur mit Menschen verbunden, wenn wir sie ständig sehen, hören oder mit ihnen Zeit verbringen. Doch wenn wir beginnen, sie zu fühlen und in unser Herz zu lassen, dann ist Verbindung über das Leben hinaus möglich.
Die Verbindung bleibt – wissenschaftlich bewiesen
Heißt das, ich muss nun ständig bei meiner Mutter sein? Nein, für mich nicht. Es geht darum, mir bewusst zu werden, welche Momente ich mit ihr geschaffen habe, in diese tief einzutauchen und ihr einen Raum im Herzen zu geben. Egal, ob du im Außen mit deiner Mutter verbunden bist oder nicht – die Verbindung im Herzen ist möglich.
Sogar die Wissenschaft kann diese Verbindung bestätigen:
*Studien geben wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Zellen von Kindern in den Körpern ihrer Mütter und teilweise sogar in ihren Großmüttern oder Vätern verbleiben können – ein Phänomen, das als Mikrochimärismus bezeichnet wird.*⁸
Frieden mit der eigenen Geschichte
Du kannst nun Frieden machen mit diesem Teil deiner Eltern in dir – oder gegen ihn kämpfen. Aber merke dir: Wenn du gegen sie kämpfst, kämpfst du auch immer gegen einen Teil von dir.
Mir bewusst zu werden, was ich alles erleben durfte, welches Wunder mein Körper hervorgebracht hat, erlebte ich erst im Muttersein. Wenn ich mich heute im Spiegel ansehe, staune ich darüber, wie oft mein Körper einer kleinen Seele ein Zuhause gab – und zweimal davon nicht nur einer Seele.
Im Außen nur sichtbar an den Narben, die er davontrug – von vielen vergessen oder nicht wissend. Doch jedes dieser Wesen hat nun seinen Platz und Raum. Ich bin eine zehnfache Mutter. Und ja, es gibt sie – diese Momente, in denen ich einfach nur traurig bin über all die Verluste.
Doch egal, ob es nur Stunden, Tage, Wochen oder Monate waren – sie sind ein Teil von mir und werden im Herzen immer einen Platz haben.
Raum für stille Eltern
Wir müssen endlich erkennen: Auch Eltern, die nie ein Kind großziehen, sind Eltern. Wir dürfen lernen, ihnen Raum zu geben, ihren Schmerz zu sehen – und ihnen helfen, das Geschenk darin zu erkennen.
Wenn ich meine Geschichte aus der Sicht der Schöpferin sehe, erst dann erkenne ich den Reichtum, mit dem ich bis hierher gelangt bin. Ich habe so viel mehr, als du sehen kannst.
Hätte ich mich bewusst für diesen Weg entschieden? Wohl kaum. Und doch hat ein Teil von mir dem zugestimmt – sonst wäre es nicht auf meinem Weg erschienen.
Der Reset-Knopf zur Heilung
Heilung beginnt, wenn du beginnst, es anzunehmen, wie es gerade ist. Wenn du den Fokus auf die schönen Seiten legst, anstatt in die Dunkelheit einzutauchen. Wenn du den Reset-Knopf drückst und dir erlaubst, ab jetzt deine Geschichte neu zu denken.
Natürlich habe ich Fehler gemacht – bei meinen Eltern, bei meinen Kindern, in meiner Partnerschaft. Doch wenn ich den Fokus immer nur auf das richte, was ich falsch gemacht habe, könnte ich heute die Fülle nicht sehen, die ich in meinem Leben erschaffen habe.
Liebe durch den Fokus auf das Wesentliche
Wenn mein Mann und ich uns unsere Fehler täglich vor Augen hielten, könnten wir heute nicht eintauchen – in diese Tiefe, in dieses unsagbare Vertrauen, in diese Liebe, die wir leben.
Und doch bemerke ich die Bereiche, in denen mir der Frieden noch nicht gelungen ist. Dort, wo ich mich noch auf den Weg machen darf, den Reset-Knopf drücken muss – um auch mit anderen Menschen und Lebensbereichen Frieden zu finden.
Wir sind alle auf dem Weg
Und wieder einmal wird mir bewusst: Wir sind alle auf dem Weg. Jeder Einzelne von uns. Der eine geht weiter vorne, die andere steht vielleicht gerade still oder geht noch einmal zurück, um sich einen Abschnitt genauer anzusehen. Und manche Seele macht erst ihre ersten Schritte.
Zutiefst dankbar für meinen Weg erkenne ich: Ich könnte dich heute nicht begleiten, wenn ich meinen Weg nicht schon ein Stück gegangen wäre – und die Ähnlichkeit unserer Wege nicht erkennen würde.
Doch eines ist mir klar: Deinen Weg kannst nur du gehen. Auch wenn du durch meinen Weg und ich durch deinen lernen kann – jeder Weg wird einzigartig sein. Und genau das macht dich zu dem besonderen Wesen, das du bist.
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